Möglicher LEA-Standort beschäftigt die Fellbacher
„Antworten auf drängende Fragen, die nicht nur den Gemeinderat beschäftigen, sondern auch die Bürger“, erhofften sich Oberbürgermeisterin Gabriele Zull und knapp 400 Besucher, die am Dienstag, 09.04.2024, zur öffentlichen Sondersitzung des Gemeinderats gekommen waren. Auf der Tagesordnung stand das Thema einer möglichen Landeserstaufnahmestelle (LEA) für Geflüchtete in Fellbach. Die drängenden Fragen richteten sich an Markus Rothfuß, Leiter des Referats Erstaufnahme im Ministerium der Justiz und für Migration, an Thomas Deines, Referatsleiter für Flüchtlingsaufnahme und Integrationsförderung beim Regierungspräsidium Stuttgart und an Berthold Weiß, Leiter der LEA in Ellwangen.
In langen Jahren sei eine Gemeinderatssitzung noch nie auf so viel Interesse durch die Bürgerinnen und Bürger gestoßen, betonte OB Zull. Dieser Zuspruch spreche eine klare Sprache und sei ein wichtiges Signal an die Landesregierung. Da im Justizministerium bisher keine kritischen Anfragen zur LEA in Fellbach vorlägen, war Justizministerin Marion Gentges im Vorfeld davon ausgegangen, dass die Planung die Menschen in Fellbach nur wenig berührten oder beunruhigten. Mehrere hundert Besucher bei einer kurzfristig einberufenen Sondersitzung seien aber ein klares Signal, dass viele Menschen sich Sorgen um die künftige Stadtentwicklung machten.
Unmittelbar vor der Sitzung hatte Oberbürgermeisterin Zull eine Antwort des Ministeriums auf ihre dringende Bitte, eine öffentliche Bürgerveranstaltung zu den LEA-Planungen zu organisieren, erhalten. Tenor des Ministeriums: „Sollte sich die Planung konkretisieren, ist selbstverständlich eine Bürgerbeteiligung vorgesehen.“ Ein genauer Zeitpunkt wurde nicht genannt. „Eine Bürgerbeteiligung im echten Wortsinn kann ich bei diesem Vorgehen beim besten Willen nicht sehen“, bekräftigte Zull. „Wir wollen gerade nicht, dass die Bürgerschaft erst dann einbezogen wird, wenn bereits Fakten geschaffen sind und es in der Sache keinen Spielraum mehr gibt.“ Von den anwesenden Gästen, die den Verlauf im Großen Sitzungsaal und per Videoübertragung im Foyer verfolgten, wurde diese Stellungnahme mit starkem Applaus quittiert.
Objektive Gründe gegen eine Landeserstaufnahmestelle
In ihrer Einführung ging OB Zull nochmals auf die wesentlichen Argumente ein, die objektiv gegen eine LEA in Fellbach sprechen. So hat die Stadt ein erfolgreiches, transparentes und weithin anerkanntes Modell zur Integration von Geflüchteten entwickelt, das bewusst auf dezentral im Stadtgebiet verteilte Standorte mit jeweils überschaubarer Größe setzt. Die vom Land als LEA-Standort geprüften Grundstücke, die über das Gewerbegebiet verteilt lägen, seien dem gegenüber in vieler Hinsicht ein negatives Kontrastprogramm. Allein die Verteilung der LEA-Funktionen auf verschiedene nicht zusammenhängende Grundstücke, die zum Teil noch nicht einmal eingezäunt werden könnten, sei in dieser Form zumindest landes-, wenn nicht bundesweit ein Novum. Die im Gewerbegebiet ansässigen Unternehmen seien auf eine derart große Anzahl von Menschen im unmittelbaren Umfeld nicht annähernd eingerichtet. Zudem werde das IBA‘27-Projekt, das existenzielle Fragen der künftigen Stadtentwicklung aufgreife, mit dem LEA-Standort hinfällig.
Ministerialrat Markus Rothfuß betonte, dass es sich um eine laufende Prüfung handle und diese ergebnisoffen sei. Nicht nur viele Rahmenbedingungen seien offen, auch bauliche Fragen müssten geklärt werden. Er bekannte allerdings, dass das Areal nicht in jeder Hinsicht ideal geeignet sei. Das Land prüfe momentan an vielen Stellen mögliche Standorte.
Rothfuß erläuterte weiter, das Land sei aufgrund von bundesrechtlichen Vorgaben dazu verpflichtet, Erstaufnahmestandorte bereitzustellen. Momentan gebe es vier LEAs in jedem Regierungsbezirk sowie eine Erstaufnahmeeinrichtung (EA) in Giengen. In LEAs erfolgen die Registrierung der Geflüchteten, Gesundheitsuntersuchungen, die Einleitung des Asylverfahrens und erste Integrationsschritte. „Wir waren überfordert, wir sind überfordert“, räumte er ein. Es sei schwer vorherzusagen, welche Geflüchteten wann in welcher Menge kämen. Momentan gebe es eine Kapazität an Notunterkünften und temporären Standorten mit circa 13.600 Plätzen. Umfangreiche Not-Kapazitäten fielen im laufenden Jahr 2024 weg, die LEA Ellwangen werde Ende 2025 geschlossen. Aktuell gehe es deshalb um die Schaffung von bis zu 9.000 weiteren Regelplätzen, erläuterte Thomas Deines.
Weniger Flüchtlinge in Anschlussunterbringung
„Wir wissen um die Belastungen vor Ort“, sagte Rothfuß. Momentan nehme die Standortsuche einen sehr großen Teil ihrer Tätigkeit ein. Dabei seien sie darauf angewiesen, „dass Kommunen uns akzeptieren“. Für die betroffenen Standortkommunen werde durch das sogenannte LEA-Privileg dafür gesorgt, dass diese weniger Flüchtlinge in der Anschlussunterbringung aufzunehmen hätten. „Ein so genanntes Privileg, das bei Lichte betrachtet aber dem jeweiligen Landkreis zugutekommt, nicht allein der betroffenen Standortkommune selbst“, wie OB Zull korrigierte. Thomas Deines zählte weitere Vorteile für LEA-Standortkommunen auf: die Kosten für den Betrieb trage das Land; zudem würden die Ausländerbehörde, Kitas, Schulen und das medizinische System der jeweiligen Standortkommune entlastet.
Auch Deines ist klar, dass das Land „nirgends ein willkommener Investor“ ist und ein ehemaliges Kasernengelände wie in Ellwangen für eine LEA geeigneter sei. Bei den angebotenen Flächen in Fellbach seien in der Erich-Herion-Straße 9 – 11 + 13 sowie in der Steinbeisstraße 15 vor allem die fehlenden Freiflächen ein Manko. Die Raumkubatur des Gebäudes in der Erich-Herion-Straße sei für eine LEA aber denkbar. Der Bürotrakt befinde sich in einem guten Zustand und könnte viele der erforderlichen Funktionen aufnehmen. Für die gegenüber liegende Logistikhalle Steinbeisstraße 15 sei alternativ zur LEA-Nutzung auch die Einrichtung einer Notunterkunft als Ersatz für ein bestehendes Objekt in Sindelfingen denkbar.
Zum aktuellen Prüfverfahren erläuterte Deines, bislang liege nur eine Grobplanung vor, weshalb noch keine Aussagen zur Kapazität möglich seien. Aktuell gelte es, das Baurecht zu prüfen. Abschließend bot er eine gemeinsame weitere Prüfung als Basis für eine Entscheidung an. „Das Thema Baurecht lässt sich unheimlich schnell klären“, konterte OB Zull. Der Gemeinderat habe erst Ende letztes Jahr Beschlüsse zur künftigen nachhaltigen Stadtentwicklung des Gewerbegebiets gefasst; allein deshalb bleibe der Stadt keine andere Wahl, als eine Umnutzung des Bürogebäudes baurechtlich abzulehnen. Es liege nun am Land, trotz einer baurechtlich bereits absehbaren Ablehnung durchzugreifen und das Recht der Kommune auf Selbstverwaltung damit zu negieren.
„Dass das Land einmal von oben durchgreift, konnte ich mir vor ein paar Wochen noch nicht vorstellen“, sagte Franz Plappert (CDU). Er fragte, wie das Problem mit der fehlenden Außenfläche gelöst werden solle. „Wo sollen sich 600 oder 800 Personen aufhalten? Sie können nicht den ganzen Tag im Zimmer sitzen.“ Deines verdeutlichte, dass Spielplätze und Aufenthaltsflächen im Freien dazugehörten. „Das ist der Knackpunkt.“ Ob dieser zum Ausschluss führe oder ein Kompromiss gefunden werde, könne er nicht sagen.
Thema Sicherheit bewegt viele im Raum
Beate Wörner (Grüne) attestierte eine desaströse Kommunikation von Seiten des Landes. „Sie können nicht erwarten, dass wir Sie hier mit offenen Armen empfangen.“ Andreas Möhlmann (SPD) konstatierte gegenüber den Landesvertretern, „dass sie jetzt unter Druck sind“, weil sie ihre Hausaufgaben nicht rechtzeitig gemacht hätten. Er wollte wissen, ob es einen Kriterienkatalog zur Prüfung von LEA-Standorten gebe. Deines erklärte, man habe die Fellbacher Grundstücke bislang nur auf Plausibilität geprüft; konkrete Planungen gebe es hingegen noch nicht. Als Beispiel für die Anwendung bestehender Kriterien nannte er eine Zimmergröße von mindestens sieben Quadratmetern pro Person.
Agata Ilmurzynska (Grüne) bekräftigte, zur Transparenz gehöre, dass auch die Bürger angehört würden. Sie zweifelte an, wie bei derart knappen Außenflächen gewährleistet werden könne, dass Menschen mit traumatischen Erfahrungen neue Hoffnung bekommen und neue Kräfte sammeln könnten. Außerdem hob sie mit Nachdruck hervor, Fellbach habe aufgrund der kleinen Gemarkung über Jahrzehnte hinweg seine Freiflächen geschont und müsse auf geringster Fläche viele Nutzungen unterbringen.
„Was viele hier im Raum bewegt, ist das Thema Sicherheit“, so Anja Off (CDU). Zwar werbe das Land mit Polizeistandorten in LEAs, Sicherheitsdiensten und Gewaltschutzkonzepten. Trotzdem seien in der Freiburger LEA laut Medienberichterstattung Gewalttaten im dreistelligen Bereich auf 80 Geflüchtete zurückzuführen. „Welche Gegenmaßnahmen treffen Sie hier?“, wollte sie wissen. „Das sind wenige Menschen, die uns unendlich ärgern“, sagte Deines. „Wir legen ein sehr enges Augenmerk auf diese Personen und dulden keine Straftaten.“ Präventiv werde mit Streetworkern und Sicherheitsdiensten gearbeitet. Aber: „Wir können natürlich nicht alles verhindern.“
Ulrich Lenk (FW/FD) betonte, seine Fraktion sei froh, „dass Fellbach auch in dieser Situation zusammensteht“. Seine Frage: „Wann bereiten Sie dem Spuk einer LEA in Fellbach ein Ende?“ Rothfuß entgegnete, er gehe davon aus, dass die Prüfung in den nächsten drei Monaten abgeschlossen sei. Oberbürgermeisterin Zull ging abschließend nochmals auf die große Besucherzahl ein und bekräftigte, das Land dürfe keine Entscheidung gegen den erklärten Willen der Stadt treffen. „Wir wären sehr froh, wenn die Entscheidung zügig in unserem Sinn fallen würde.“